Tourismusfinanzierung: Mehr als ein Bewusstseinsproblem
Wenn in Diskussionen im Tourismus oder in der Kulturfinanzierung gesagt wird, man müsse „mehr Bewusstsein für die Bedeutung von Tourismus und Kultur schaffen“, dann ist das nachvollziehbar. Viele Akteure möchten sichtbar machen, welchen Beitrag Tourismus zur regionalen Entwicklung, Lebensqualität und Wertschöpfung leistet.
Aus meiner Erfahrung im Tourismus- und Destinationsmanagement gibt es aber eine zusätzliche Ebene, die häufig unterschätzt wird: die strukturelle Logik kommunaler Haushalte.
Pflichtaufgaben versus freiwillige Aufgaben
Rein rechtlich lässt sich unterscheiden: Kommunale Aufgaben werden etwa folgendermaßen gegliedert:
Pflichtaufgaben („muss“), z.B. Abwasserbeseitigung, Straßenunterhalt, Schulbetrieb, Brandschutz oder Kinder- und Jugendhilfe
Freiwillige Aufgaben („kann“), z.B. Sport und Kultur, Unterstützung von Vereinen, kommunale Wirtschaftsförderung sowie Tourismus (Tappe, H. / Wernsmann, R. (2019), S. 228f).
Freiwillige Aufgaben sind Kern der kommunalen Selbstverwaltung, weil darin Gestaltungsspielraum besteht. Gleichzeitig sind Kommunen gesetzlich verpflichtet, zuerst ihre Pflichtaufgaben auskömmlich zu erfüllen (Schwarting 2019, S. 15f.)
Diese Hierarchie ist unabhängig von der politischen Bewertung oder vom Wissen um die Relevanz einzelner Aufgaben. Sie gilt auch dann, wenn das Bewusstsein für die Bedeutung des Tourismus längst vorhanden ist.
Was heißt das in der Praxis?
Wenn Städtetag oder kommunale Verwaltungen berichten, dass sie Haushaltsdefizite haben oder gar Haushaltssperren verhängen, heißt das: Nicht wenige freiwillige Leistungen werden eingefroren oder gekürzt. Ein Beispiel: In Schwerin wurde im Juli 2025 eine Haushaltssperre verhängt. Vertrags- und Pflichtleistungen liefen weiter, freiwillige Leistungen wurden eingefroren.
Auch eine aktuelle Umfrage in NRW zeigt: Mehr als drei Viertel der Städte und Gemeinden bewerten ihre finanzielle Lage für die nächsten fünf Jahre als „mangelhaft“. Darüber hinaus weist das Deutsche Institut für Urbanistik für Deutschland im Jahr 2024 ein kommunales Kernhaushalts-Defizit von rund 24,3 Mrd. Euro aus.
Auch wenn diese finanziellen Herausforderungen kein neues Phänomen sind, schließlich beklagen Kommunen schon spätestens seit den 1980er Jahren immer wieder eine ausgeprägte Finanznot (Köller, W. / Fürst, D. (2012), S. 8), sind die Erwartungen für die kommende Jahre alles andere als beruhigend. Tourismus und die mit ihm verbundenen freiwilligen Leistungen rund um Vereine, Kultur, Kunst und Sport müssen sich also vielerorts auf harte Zeiten einstellen.
Eine Frage der Perspektive
Wenn in der Branche von Bewusstseinsbildung gesprochen wird, ist das selten Ausdruck von Naivität. Oft steckt dahinter der legitime Versuch, Tourismus im politischen Wettbewerb um Prioritäten sichtbar zu halten.
Aber Bewusstsein allein löst das strukturelle Dilemma nicht. Denn kommunale Entscheider*innen handeln oft im Rahmen einer Haushaltslogik, die ihnen wenig Spielräume lässt. Denn auch dort, wo das Bewusstsein längst vorhanden ist, bleibt das Problem strukturell: Pflichtaufgaben haben Vorrang, freiwillige Aufgaben werden bei Engpässen zuerst reduziert.
Die entscheidende Frage lautet in diesem Fall also nicht allein: Wie schaffen wir mehr Bewusstsein? Sondern ergänzend: Wie lassen sich Tourismuslogik und Haushaltslogik besser miteinander verzahnen?
Selbstverständlich: Es gibt Gemeinden, die trotz finanzieller Spielräume Tourismus reduzieren oder gar nicht fördern, etwa weil andere politische Ziele Vorrang haben, weil Tourismus bewusst nicht gewollt ist oder weil man davon ausgeht, dass ein starker Markt sich selbst trägt. Diese Beispiele widerlegen das Haushaltsargument nicht. Sie zeigen vielmehr, dass „Bewusstsein“ nur einen Teil der Erklärung liefert. Entscheidend ist, ob Tourismus strategisch verankert und als kommunale Entwicklungsaufgabe verstanden wird. Fehlt diese Verankerung, bleibt Tourismus – selbst bei stabiler Finanzlage – anfällig für Kürzungen und politische Richtungswechsel. Damit wird klar: Auch hier ist „Bewusstsein“ nicht die zentrale Kategorie. Entscheidend ist die Passung zwischen Tourismuslogik und lokaler Entwicklungslogik und ob Tourismus als Beitrag zur Lösung lokaler Aufgaben wahrgenommen wird oder nicht.
Was bedeutet das für den Tourismusbereich?
Der Appell an „mehr Bewusstsein“ hat seinen Platz. Aber Argumente wie Wertschöpfung, Lebensqualität oder Standortimage reichen allein nicht aus, wenn sie nicht mit klaren Konzepten und tragfähigen Finanzierungsstrukturen hinterlegt sind. Entscheidend ist, Tourismus nicht nur zu begründen, sondern ihn institutionell und finanziell so aufzustellen, dass er auch in konkurrierenden Prioritäten besteht. Dafür braucht es das Nachdenken über:
neue Finanzierungsmodelle (z. B. Umlagen, Abgaben, PPP-Formate, Membership-Modelle),
strategische Verankerung als Querschnittsaufgabe, etwa in Stadt- und Regionalentwicklung, Mobilität, Klimaanpassung oder Standortpolitik,
ein gemeinsames Verständnis der Haushaltslogik, um konstruktiver und partnerschaftlicher über Prioritäten zu verhandeln,
langfristige statt rein kurzfristig-reaktive Perspektiven.
Eine Pflichtaufgabe „Tourismus“ wäre in diesem Zusammenhang m.E. im Übrigen kein Allheilmittel. Auch sie garantiert keine Auskömmlichkeit, wie andere Pflichtbereiche zeigen, und greift stark in kommunale Selbstverwaltung ein.
Fazit
Die Diskussion um Bewusstseinsbildung ist sinnvoll, aber sie greift zu kurz, wenn sie nur auf Wirkung und Wertschöpfung verweist. Entscheidend ist, wie Tourismus finanziell, institutionell und strategisch verankert ist. Nicht nur der Wille entscheidet über die Zukunft des Tourismus, sondern die Struktur: die Logik der Haushaltsführung, die Priorisierung kommunaler Aufgaben und die Frage, ob Tourismus als Teil der Lösung lokaler Herausforderungen verstanden wird.
Tourismusfinanzierung muss deshalb stärker systemisch gedacht werden: als Governance-, Finanzierungs- und Entwicklungsaufgabe. Dort liegen die Stellschrauben, nicht allein in Appellen oder zusätzlichen Studien zur Relevanz. Wer Tourismus sichern und weiterentwickeln will, muss Modelle und Strukturen schaffen, die auch dann tragen, wenn Haushalte unter Druck geraten.
Oder anders formuliert: Nicht nur das Bewusstsein ist eine große Herausforderung, sondern unser aller Fähigkeit, Tourismus so aufzustellen, dass er in politischen und finanziellen Prioritäten bestehen kann.
Quellen:
Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) (2025), Finanzlage der Kommunen in Deutschland hat sich weiter verschlechtert, Pressemitteilung vom 9. Mai 2025. Online verfügbar unter: https://difu.de/presse/pressemitteilungen/2025-05-09/finanzlage-der-kommunen-in-deutschland-hat-sich-weiter-verschlechtert, abgerufen am 25.11.2025.
Köller, W. / Fürst, D. (2012), Kommunale Finanznot, Frankfurt/Main 2012.
Schwarting, G. (2019), Der Kommunale Haushalt, Berlin 2019.
Stadt Schwerin (2025), Haushaltssperre der Landeshauptstadt Schwerin, Pressemitteilung vom 3. Juli 2025. Online verfügbar unter: https://www.schwerin.de/news/naechste-haushaltssperre, abgerufen am 25.11.2025.
Tappe, H. / Wernsmann, R. (2019), Öffentliches Finanzrecht, Heidelberg 2019.
Die Welt (2025), Kommunalfinanzen: „Das neue Normal sind Haushaltsdefizite“, Online verfügbar unter: https://www.welt.de/regionales/nrw/article68ff3b86c008edcf0c854b37/kommunalfinanzen-das-neue-normal-sind-haushaltsdefizite.html, abgerufen am 25.11.2025.