Harz mit Herz. Warum Tourismusmarken mehr als Kommunikationsbotschaften sein müssen. Ein Diskursbeitrag.
Stadtansicht Quedlinburg
Eine kleine Geste in Quedlinburg zeigt, was Tourismus wirklich verbindet – und warum Werbung erst dann glaubwürdig wird, wenn Haltung spürbar ist.
Samstagnachmittag, kurz nach vier. Ich bin in Quedlinburg und suche ein HDMI-Kabel. Rewe: Fehlanzeige. dm: Fehlanzeige. Telekom-Shop: letzte Hoffnung. Die Mitarbeiterin verschwindet nach hinten, kommt wieder und drückt mir ein Kabel, das offensichtlich nicht für den Verkauf bestimmt war, in die Hand. „Hier, bitteschön.“ Ich frage: „Was bekommen Sie denn dafür?“ Sie lächelt. „Nichts. Viel Spaß damit.“
Ein banaler Moment und doch: ein perfektes Markenerlebnis. Denn hier wurde spürbar, was kein Corporate Design und keine Kampagne je leisten kann: Menschlichkeit.
Tourismus als Beziehungssystem
In einem anderen Beitrag hier auf LinkedIn habe ich geschrieben: „Tourismus funktioniert in dünn besiedelten Räumen nur als Ko-Kreation.“ Daran knüpft dieses Erlebnis an, obwohl Quedlinburg als Welterbestadt auf den ersten Blick ganz andere Voraussetzungen hat als der Nordosten Brandenburg. Aber auch hier: Tourismus ist, im Kern, kein Produkt-, sondern ein Beziehungssystem. Er lebt nicht von der Landschaft allein, sondern von der Art, wie Menschen einander begegnen.
Wir sprechen in der Branche viel von Marken, Tonalitäten, Zielgruppen, Claims. Doch das meiste davon bleibt austauschbar. Ein schöner Wanderweg, ein See, eine Altstadt: all das kann man mögen, aber selten daran hängen. Was uns wirklich mit Orten verbindet, sind die Menschen dort. Es ist die Haltung, mit der sie einander und uns begegnen. Im Grunde ist das dem Gefühl der Heimat ähnlich. Auch sie entsteht nicht allein durch „schöne Geografie“ oder „Geburt“, sondern durch Resonanz miteinander.
Vom Versprechen zur Resonanz
Tourismusmarketing war lange das Geschäft der Verführung. Man versprach Schönheit, Authentizität, Erlebnis. Doch das Zeitalter der reinen Verheißung ist vorbei. Heute spüren Menschen sofort, ob das, was kommuniziert wird, auch gelebt wird. Wer Diversität bewirbt, aber vor Ort Homogenität bietet, erzeugt kognitive Dissonanz. Die Werbung öffnet eine Tür, hinter der eine andere Welt wartet und das Publikum merkt es. Marketing kann keine Realität ersetzen, die es vor Ort nicht gibt.
Realität oder Zielbild?
Heißt das, Werbung darf nur abbilden, was ist? Nein. Aber sie muss unterscheiden zwischen Abbild und Auftrag. Wenn sie nur bestätigt, was ohnehin existiert, bleibt Gesellschaft statisch. Wenn sie aber Zukunft entwirft, muss sie zugleich die Veränderung im System selbst mitdenken. Eine Destination kann keine neuen Zielgruppen gewinnen, wenn sie nicht parallel daran arbeitet, dass diese Zielgruppen vor Ort durch Begegnungen genau das auch antreffen. Bevor wir also an Kampagnen feilen, müssen wir die Menschen finden, die sie verkörpern. Denn Werbung ist das Echo eines sozialen Zustands. Und ein Echo kann nur verstärken, was bereits klingt.
Vom Markenversprechen zur Haltung
Das führt mich zur Gastfreundschaft. Sie ist keine Haltung. Sie ist das Ergebnis einer Haltung. Und nur echt, wenn Respekt, Offenheit und Empathie dahinterstehen. Diese Haltungen entstehen nicht in Markenteams oder Kommunikationskonzepten, sondern in der Interaktion vor Ort. Wenn Tourismus also ein Beziehungssystem ist, dann ist die Marke nicht mehr Verführung, sondern Beziehungsarbeit. Es geht nicht darum, etwas zu versprechen, sondern etwas zu ermöglichen. Vielleicht beginnt die Zukunft der Tourismusmarken nicht in den Agenturen, sondern in Momenten wie dem in Quedlinburg, wenn eine Mitarbeiterin einem Fremden ein HDMI-Kabel schenkt. Ein kleiner Akt, der mehr über Haltung verrät als jede Kampagne.
Fazit
Und doch bleibt eine kritische Frage: Wenn Markenerlebnisse letztlich aus Begegnungen entstehen, welche Rolle spielt dann das Tourismusmarketing dabei? Es schafft keine physischen Rahmenbedingungen. Es kann niemanden freundlich machen, keine Begegnungen erzwingen, keine Menschlichkeit programmieren.
Aber es kann das sichtbar machen, was schon da ist: die Haltungen, die Menschen prägen, die Geschichten, die authentisch sind, und die Werte, die Resonanz erzeugen. Das verändert auch das Instrumentarium: Poster von schönen Landschaften oder Burgen auf Hügeln reichen nicht mehr, es sei denn, sie sind ikonisch, tief symbolisch aufgeladen. Die meisten Landschaften sind es allerdings nicht.
Wirklich unverwechselbar wird eine Destination durch die Menschen, die in ihr leben. Durch ihre Haltung, ihre Sprache, ihren Umgang miteinander. Vielleicht ist das die ehrlichste Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Tourismusmarketings: Nicht etwas zu inszenieren, sondern das Sichtbare wahrhaftig zu erzählen. Und das würde ihm auch einen Platz sichern im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz - einer Zeit, in der viele (zu Recht) darüber nachdenken, wie man die „Maschine“ mit den eigenen Daten optimal füttern kann, damit ganz bestimmt die eigene Destination bei den Suchanfragen von ChatGPT & Co. berücksichtigt wird.