5 Dinge, die wir vom Tiny House in Raddusch lernen können

Von Andreas Zimmer und Julia Thoms

Es ist ein Vormittag im September 2021. Durch den wolkenverhangenen Himmel über Raddusch, einem kleinen Dorf im Spreewald, blinzeln vereinzelt Sonnenstrahlen. Vor einigen Minuten hat uns das Navigationsgerät verlassen. Wir fahren nach Gefühl. Am Ende eines Feldweges wird es in einer Kleingartenanlage wuselig. Noch vor Kurzem drohte dem Verein der Anlage wegen fehlender Mitglieder das Aus.

Doch heute sind viele Menschen hier. Der Grund: Aus vier leeren Parzellen ist ein Lern- und Gemeinschaftsgarten entstanden, in dem nun ein ökologisches Holz-Tiny House errichtet wurde. Nicht nur irgendeines, sondern das „erste brandenburgische Musterhaus für zukunftsfähiges Bauen und Wohnen“, so der Macher Sebastian Zoepp. Sebastian kennen wir aus anderen leidenschaftlichen Unternehmungen der letzten Jahre: SpreescoutsBewusst zu GastEssbares Dorf Raddusch u.a.m. Der studierte Landschaftsplaner ist immer vorn mit dabei, wenn es in Brandenburg um Nachhaltigkeit geht. 2016 gründete er die Spreeakademie, die für viele seiner Ideen, so auch dieser, als Projektträgerin dient.

Auf der Terrasse vor dem Tiny House füllt es sich langsam. Zu Sebastian gesellt sich der brandenburgische Umweltminister Axel Vogel, der Schirmherr des Projekts ist. Er sehe hier das Potential, mit einfachen und überschaubaren Mitteln und Methoden besonders die jungen Leute für Umwelt- und Ökologiefragen zu mobilisieren, so Vogel in seiner Begrüßung. Dem Umweltminister beipflichtend folgt der Leiter des Biosphärenreservats Spreewald, Eugen Nowak, und Vivien Eichhorn vom Wertewandel e.V. Ihr liegt insbesondere Bildung im Strukturwandelgebiet Lausitz am Herzen. Zuletzt springt schwungvoll Bürgermeister Bengt Kanzler dazu, mit einem großen Lob auf den Lippen – für Engagement und Ideen in diesem Dorf.

Was hat das nun alles mit Tourismus zu tun? Dieses Projekt zeigt sehr schön, wie viele Fäden sich von einem Tiny House aus spinnen lassen.

1. Ein touristisches Erlebnis

Baumhäuser, kirgisische Jurten, Hausboote, Heuhotels, Cabins oder umgebaute Leuchttürme: Unterkunftsformen für Touristen haben sich auch in Brandenburg diversifiziert. Und klar, so ein Gegenpol zum alltäglichen Wohnen kann durchaus zu einem touristischen Erlebnis werden. Genau darin besteht das Potential dieser kreativen Übernachtungsmöglichkeiten. Für Unternehmen und Destinationen bedeutet ein Setzen auf diesen Trend:

  • neue Zielgruppen

  • mehr Aufmerksamkeit

  • teilweise ausgefallene Standorte

  • individuelles Design statt Einheitsbrei (und damit Punkt 2)

2. Räume gestalten

Ein Tiny House ist das Bindeglied zwischen Hotelzimmer, das in der Standardausführung mit „Tisch-Bett-Stuhl“ nicht jedem Bedürfnis des Urlaubstourismus entspricht, und Ferienhaus, das oftmals zu viel Fläche verbraucht. Es reduziert sich auf das Wesentliche: ein Doppelbett mit Blick in den Himmel, eine Küche mit Panoramafenster, eine Toilette und Dusche sowie eine Heizung und WLAN, das Ganze auf 24 qm. Freilich, das Design hat den notwendigen Wow-Effekt, insbesondere der verglaste Ausblick, der dem Garten einen Rahmen gibt, ganz gemäß dem Spruch: „Passepartout macht Kunst im Nu.“ Verbaut und verwendet sind nachwachsende, regionale Materialien. Das führt uns zum nächsten Punkt.

3. Ressourcenschonend Bauen

Tiny House ist nicht gleich Tiny House. Abhängig von verwendeten Baustoffen, Wahl der Medienversorgung, Innenausstattung und -einrichtung gibt es x Modelle auf dem Markt. Das Tiny House in Raddusch verfolgt das Konzept der Wasser- und Energieautarkie. Das Solardach ist an eine Batterie angeschlossen, natürlich Marke Tesla. Sozusagen Hightech mit Hightouch. Der Induktionsherd speist sich im Sommer aus diesem Speicher. Im Winter wird auf den mit Holz befeuerten Herd gewechselt, der auch gleich das kleine Haus aufwärmt, das ansonsten ausreichend von seinen Massivholzwänden isoliert wird. Auf ein Betonfundament wurde bewusst verzichtet, ist Beton doch einer der größten CO2-Treiber beim Bauen. Eine Tonne Zement entspräche einer Tonne CO2, so Architekt und Projektleiter Christian Voss. Mit der sparsamen Wasserverwendung und „hausinternen“ Abwasseraufbereitung wird das Ganze rund und stellt sich, diesmal aber landseitig, zu einem anderen innovativen Bauprojekt der Lausitzregion: dem energieautarken schwimmenden Haus auf dem Bergheider See.

4. Bildung für nachhaltige Entwicklung als touristisches Angebot

Nicht umsonst umgibt das Tiny House einen Lern- und Gemeinschaftsgarten. In Workshops sollen zum Beispiel Architekturstudierende lernen, wie zukunftsfähiges Bauen und Wohnen aussehen kann. Es ist ein erklärtes Ziel aller Anwesenden, dass von diesem Mini-Haus auch Impulse für die nachhaltige Kommunal- und Regionalentwicklung ausgehen sollen. So bietet die Spreeakademie von Oktober bis November 2021 eine kostenfreie Workshopreihe als Weiterbildung zum nachhaltigen Bauen und Wohnen an. Interessierte können sich ab sofort anmelden. Infos zu den Veranstaltungen und zur Anmeldung sind im Downloadbereich.

Außerdem ist es eine Einladung an alle umliegenden Kindergärten und Schulen, um mehr über die Natur und eine nachhaltige Lebensweise zu erfahren. Und um zu pflanzen, zu ernten und in Erde zu buddeln. Dass die Kinder aus Raddusch den Garten von Beginn an kennen, ist entscheidend für unseren letzten Punkt.

5. Nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume

Wenn verwaiste Gartenparzellen zu einem Gemeinschaftsgarten umgestaltet werden, stellt sich auch die Frage, wie Gemeinschaft mit den Menschen vor Ort entstehen kann. Es ist ein großes Thema: Beteiligungsprozesse von Bürgerinnen und Bürgern – und wie diese für ländliche Räume aussehen können. Ein wichtiges Thema auch für die touristischen Entwicklung einer Region, gerade auch im Spreewald.

Marie Schega von der Spreeakademie hat eine interessante Perspektive darauf: sie überträgt die Möglichkeiten der Permakultur für den Garten- und Landschaftsbau auf die soziale Ebene und analysiert, wie sich gezielt Beteiligung, Mitgestaltung und Teilhabe übertragen lassen. Ihre Ableitungen hat sie hier zusammengetragen.

Kommen wir zum Schluss

Uns ist klar, dass Tiny Häuser auch Nachteile haben und keine Lösung für alles sind. Oft sind sie z.B. nicht barrierefrei und können Einschränkungen im Wohnkomfort bedeuten, weil alle Funktionen wie Schlafen, Wohnen und Kochen auf wenige Quadratmeter beschränkt sind und werden, wie man dem einen oder anderen Blog entnehmen kann, schnell anders ordentlich. 

Und selbstverständlich gibt es Herausforderungen mit der Bauordnung, mit Landschafts- und Naturschutz und auch der Campingplatzverordnung. Darüber werden wir an anderen Stelle nochmal ausführlich berichten.

Dennoch: das Tiny House in Raddusch gefällt uns außerordentlich, eben weil es nicht nur eine Unterkunft, sondern ein Gemeinschaftsort ist, der mehr im Sinn hat, als eine Übernachtung zu bieten. Ein bisschen von diesen Resonanzschwingungen, in die man versetzt wird, haben auch wir in unseren Alltag mitgenommen.

Wer sich für die Aktivitäten von Sebastian und der Spreeakademie interessiert oder gerne ein paar Bewegtbilder aus dem Tiny House sehen möchte, schaltet einfach in diese kurze rbb Reportage rein.

Zum Weiterlesen

Grassinger, Bibiane; Die Tiny House Bewegung und ihre Rolle im Tourismus, in: Zeitschrift für Tourismuswissenschaft, Band 12, Heft 3. Zu bestellen unter: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/tw-2020-0021/html

Zurück
Zurück

Eindrücke: Das war der 23. Tourismusgipfel des BTW Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft

Weiter
Weiter

Coworking. Tourismus. Brandenburg.